Favoriten, ein Bezirk entsteht
Das Besondere an der Entwicklung von Favoriten ist, dass dieser Bezirk aus dem Nichts entstand. Es gab in der Gegend des Wienerbergs am Beginn des 19. Jahrhunderts keine Siedlung, die als Kondensationskeim für Erweiterungen hätte dienen können, so wie das in anderen Bezirken außerhalb des Linienwalls der Fall war. Favoriten ist ein auf dem Reißbrett konzipierter Stadtteil im amerikanischen Stil mit Längsstraßen in Nord-Süd-Richtung und Querstraßen in Süd-Ost-Richtung, in ständiger Erweiterung von Nord nach Süd wachsend.
Hier gab es durch die Eisenbahnbetriebe, das Arsenal und die Ziegelindustrie Bedarf an Arbeitskräften und wegen der höherpreisigen Gebiete innerhalb der Stadtmauer war es naheliegend, dass sich die Arbeiterschaft in unmittelbarer Nähe der Arbeitsstätten angesiedelt hat.
Favoriten 1829
Vor 200 Jahren gab es „Favoriten“ nicht; auch nicht den Namen. Das Gebiet des Wienerbergs und des Laaerbergs war völlig unbewohnt. Die Flurnamen verweisen manchmal auf die Grundeigentümer. Das heutige Gebiet von Favoriten lag vollständig außerhalb der zweiten Stadtmauer, dem Linienwall, der „Linie“. Die heutige innere Favoritenstraße war bebaut, allerdings handelte es sich noch oft um landwirtschaftliche Betriebe.
Die heutigen Straßenzüge von Favoritenstraße und Laxenburgerstraße kann man schon erkennen, ebenso den Verlauf der Gudrunstraße und den Waldmüllerpark, damals Matzleinsdorfer Friedhof.
Lediglich die „Spinnerin am Kreuz“ war eine weithin sichtbare Orientierungshilfe in den Wiesen und Feldern des Wienerbergs. Einzelne bewirtschaftete Flächen kann man als Ziegeleien deuten. Die Flurnamen „Favoritner Felder“ und „Marxer Felder“ deuten darauf hin, dass Bauern, die in gleichnamigen Stadtteilen innerhalb der Linie dort Felder bewirtschafteten. Flurnamen, die sich in heutigen Straßennamen wiederfinden sind
- Im Berhardthal = Bernhardstalgasse
- In den Goldeggen = Goldeggasse
- Unterer Geiselberg = Geiselbergstraße
- Im Schrankenberg = Schrankenberggasse
- In der mittleren Muhren = Muhrengasse
- Im unteren Absberg = Absberggasse
- Ober Geyereck = Geiereckstraße
- Vogen Thal = Vogentalgasse
Ein einzelstehendes Gebäude, der „Rothe Hof“, war ein Schlösschen, dass unter Karl VI., also bereits im 18. Jahrhundert, errichtet wurde. Das „Alte Landgut“ ist auf der obigen Landkarte noch nicht zu finden, es wurde 1834 errichtet und war eine Vergnügungsstätte.
Favoriten 1858
Die Geburtsstunde von Favoriten schlug mit dem Eisenbahnbau. Die freie Fläche südlich des Linienwalls und noch vor dem Wienerberg begünstige die Trassierung der Eisenbahnlinien. Das rasante Wachstum der Stadt war die Grundlage für das Wachstum der Ziegelindustrie am südlichen Abhang des Wienerbergs. Alle diese Einflüsse führten zur Gründung einer Siedlung im Norden des heutigen Favoriten, damals unter dem Namen „Siedlung vor der Favorita Linie“, benannt nach dem Schloss Favorita an der inneren Favoritenstraße, der heutigen Theresianischen Akademie.
Gloggnitzer- und Raaber-Bahnhof (1841-1845)
Es entstanden zwei Bahnlinien, die Raaber-Bahn (die spätere Ostbahn) und die Gloggnitzer-Bahn (die spätere Südbahn).
Die erste Lokomotive war die amerikanische „Philadelphia„, die Ende 1838 in Wien eintraf. Sie verkehrte auf der 1841 eröffneten Gloggnitzer Bahn. Interessant ist der allererste und etwas sperrige Name dieses Bahnhofs: „Hauptstationsplatz in Wien nächst der neuen Belvedere-Linie„. Dort, im Süden, war ja nichts und daher bezog man sich auf die Nachbarschaft zum Schloss Belvedere und auf die „Linie“.
Das Ziel der Raaber-Bahn war die Stadt Györ (Raab), zur Ostbahn wurde sie erst nach dem Bau der Ostbahnbrücke im Zuge der Donauregulierung 1870. Die Gloggnitzer-Bahn wurde 1854 durch die Eröffnung der Semmeringbahn zur Südbahn.
Arsenal (1849-1856)
Mitten in den Bau der Eisenbahnlinien platzte die Revolution von 1848 und erzeugte im habsburgischen Herrscherhaus eine gewisse Panik, die eine zusätzliche Triebfeder für die weitere Stadtentwicklung war. Einerseits wurden die Stadtmauern zu einem Gefängnis, sie mussten weg. Doch vorher noch glaubte man, eine Militärbasis außerhalb der Stadt zu brauchen und begann unmittelbar nach dem Revolutionsjahr mit dem Bau des Arsenals und daneben auch den Bau der Rossauer-Kaserne. Allein für den Bau des Arsenals wurden 100 Millionen Ziegel benötigt, die vom wachsenden Ziegel-Imperium des Alois Miesbach geliefert wurden.
Im Westen des Bahnhofgeländes sieht man den Matzleinsdorfer Friedhof, den heutigen Waldmüllerpark.
Die Verwaltung dieser Siedlungsgebiete außerhalb der Stadtmauer oblag bis 1855 der Verwaltung durch den 4. Bezirk, ab 1861 durch den 4. und 5. Bezirk, weil zu diesem Zeitpunkt der frühere 4. Bezirk in Wieden und Margareten geteilt wurde und die Nummerierung der Bezirke sich geändert hat. Wien hatte damals schon die heutigen 9 Bezirke innerhalb des Linienwalls.
Der Stadteingang nach Süden hieß „Favorita Thor“, die Siedlung um die neuen Bahnhöfe hieß „Siedlung vor der Favorita Linie“. Die heutige Laxenburger Straße hieß auch damals schon so, die heutige Favoritenstraße hieß damals im gesamten Verlauf bis zum Linienwall „Himberger Straße“.
Die Werkshallen am Gebiet des heutigen Neuen Landguts und des Bahnhofsgeländes und die ersten Gebäude im Bereich der nördlichen Favoritenstraße entstehen. Diese Siedlung gehörte zur Gemeinde Wieden, und man nannte sie „Siedlung vor der Favorita Linie“.
Favoriten, 10. Wiener Bezirk, 1874
Das Wachstum von Wien in der Gründerzeit war atemberaubend. Die Bevölkerungszahl desselben Gebiets hat sich versechsfacht (von 400.000 auf 2.400.000 EW). 1869, also etwa in der Zeit der Landkarte, zählte man auf diesem Gebiet 22.340 Einwohner. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 waren es 159.241 Einwohner. Die Bevölkerungszahl von Favoriten hat sich in diesen 45 Jahren versiebenfacht, wuchs also noch stärker als Wien als Ganzes.
Im Norden sorgte das riesige Bahnhofsgelände, im Süden die zahlreichen Ziegeleien für hohen Bedarf an Arbeitskräften. Dazu kam, dass das Leben innerhalb der äußeren Stadtmauer teuer war. Es war daher naheliegend, dass die Arbeiterschaft auch in der Nähe der Arbeitsstätten in der billigeren Vorstand wohnte. Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften zog wieder viele weitere Industriebetriebe an.
Die Ziegeleien waren abgeschlossene Welten mit eigenen Spitälern, eigenen Geschäften und eigenen Sozialräumen (das Chadim am Wienerberg erinnert daran). Wohnort und Arbeitsort waren identisch. Ziegelarbeiter wohnten also nicht im Favoritner Wohngebiet.
Als die „Siedlung vor der Favorita Linie“ als 10. Bezirk „Favoriten“ zur Gemeinde Wien kommt, ist der Bereich südlich der Quellenstraße völlig unbebaut, den Reumannplatz gibt es noch nicht. Die Bezirksgrenze nach Süden sind etwa die heutige Raxstraße und die Absberggasse. Das Gebiet um das Arsenal bist zur Aspangbahn gehörte damals zu Favoriten.
Die Kepler-Kirche und der hintere Teil des Bezirksamts standen schon.
Bezirksgrenzen
Interessant an diesem Plan aus 1872 ist die Weitsicht bei der Planung der Straßenzüge. Nur ein ganz kleiner Teil südlich der Bahnhöfe war bebaut, die Planung reichte aber schon bis zur heutigen Raxstraße. Bemerkenswert ist, dass das Gebiet des Böhmischen Praters nicht Teil von Wien war. Das Wirtshaus „Zum Landgut“ befand sich nicht an der heutigen U-Bahn-Station „Altes Landgut“ sondern in der Gegend des heutigen Reumannplatzes (damals noch unbenannt, später „Bürgerplatz“).
Frühere Namen
- Himberger Straße (Favoritenstrße)
- Bürgerplatz (Reumannplatz)
- Eugenplatz (Viktor Adler Platz)
- Eugengasse (Pernerstorfergasse)
- Simmeringer Straße (Gudrunstraße)
- Quellengasse (Quellenstraße)
- Kepplerplatz (Keplerplatz)
- Landgutgasse endet damals bei der Laxenburgerstraße
Nummerierung der Bezirke
Nach der Schleifung der inneren Stadtmauer wurden die Vororte innerhalb des Linienwalls (heutiger Gürtel) in Art eines Schneckenhauses im Uhrzeigersinn 1855 eingemeindet. Das ergab die Bezirke 2 (Leopoldstadt) bis 8 (Alsergrund). Wäre danach ein Bezirk außerhalb dazugekommen, hätte er die Nummer 9 gehabt. Doch 1861 wurde der damalige 4. Bezirk in 4 (Wieden) und 5 (Margareten) geteilt und die Nummer der folgenden Bezirke erhöhte sich um 1, Alsergrund war also nicht mehr 8 sondern 9. Als dann 1874 die „Siedlung vor der Favorita Linie“, das größte Siedlungsgebiet außerhalb des Linienwalls (der „Linie“), eingemeindet wurde, war das der 10. Bezirk oder „Der Zehnte Hieb“, weil er von Wieden und Margareten wie mit einem Lineal gezogen (entlang der Bahnlinien) herausgehauen wurde. Anders als alle bisherigen Bezirke entstand der 10. Bezirk nicht rund um einen bestehenden Ortskern, sondern wurde der Bezirk im amerikanischen Stil mit Längs- und Querstraßen angelegt. Die einzigen Orte in dieser Gegend, Oberlaa, Rothneusiedl und Leopoldsdorf gehörten damals nicht zu Wien, sondern zur BH Bruck/Leitha.
Als schließlich 1892 die zweite große Erweiterung um die Ortschaften außerhalb des Linienwalls erfolgte, war die Einwohnerzahl im 10. Bezirk durch das enorme Wachstum schon so groß, dass man sich scheute, die Nummerierung umzukehren und machte Simmering zum 11. Bezirk, obwohl er dem Schneckenhausprinzip folgend eigentlich der 10. und Favoriten der 11. Bezirk hätte sein müssen. Daher haben die Bezirke Wiens im Süden ein kleines Nummerierungs-Hoppala.
Favoriten 1887
Die frühen Bahnhöfe, der Gloggnitzer und der Raaber-Bahnhof sind 1887 neu gestaltet und vergrößert worden und zum Südbahnhof und zum Staatsbahnhof umbenannt worden. Im Bereich des Neuen Landguts sieht man riesige Werkshallen und einen Lokschuppen mit einer Drehscheibe. Im Bereich des Ostbahnhofs sieht man die zahlreichen Heizhäuser. Die Verbindungsbahn zwischen Südbahn und dem Bahnhof Landstraße (heutige Schnellbahn) wurde angelegt.
Das östliche Siedlungsgebiet bis zur Laxenburgerstraße war bereits verbaut. Bemerkenswert ist der Rundbau am Ende der Landgutgasse bei der Sonnwendgasse. Hier handelt es sich um das „Favoritener Colosseum“, eine Veranstaltungsstätte, die zwischen 1929 und 1945 auch von der Löwingerbühne als Spielort genutzt wurde. Dieser Bau wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und nicht wieder aufgebaut. Man kann sich dieses Theater gut vorstellen, wenn man das heutige „Wiener Lustspielhaus“ Am Hof besucht.
Die Favoritenstraße hieß damals Himbergerstraße (so wie heute noch ab Rothneusiedl), die Gudrunstraße hieß Simmeringer Straße.
Bis 1874 trennt die Laxenburgerstraße zwei Verwaltungsbereiche: die östlichen Bereiche werden vom 4. Bezirk verwaltet, die westlichen Teile vom 5. Bezirk. Die westlichen Bezirksteile sind noch weitgehend unverbaut und auch noch ziemlich unstrukturiert.
1904/1912 Favoriten
In dieser Zeit erreichte Wien mit etwa 2,4 Millionen die bisher größte Bevölkerungszahl. Und die Planungen rechneten mit einem ungebremsten Wachstum und planten die Stadt entsprechend.
Der Vergleich mit der Landkarte aus 1887 in diesen nicht einmal 20 Jahren zeigt nicht nur die Bebauung, sondern auch die damalige Planung. Man erkennt eine Ringstraße, die sich am südlichen Abhang des Wienerbergs von Meidling bis Simmering hinzieht, der heutigen Süd-Ost-Tangente nicht unähnlich. Wenn man den heutigen Grüngürtel südlich der Raxstraße schätzt, kann man froh sein, dass die damalige Planung nicht Wirklichkeit geworden ist.
Chronik
1838 | Lokomotive „Philadelphia“ wird geliefert |
1842 | Gloggnitzer Bahn in Betrieb (1. Südbahnhof) |
1848 | Revolutionsjahr |
1850 | Eingemeindung der Vororte (Bezirke 2 bis 8) Die „Siedlung vor der Favorita-Linie“ gehört zum 4. Bezirk |
1854 | Südbahn bis Laibach |
1856 | Arsenal als erster Ringstraßenbau |
1858 | Abbruch der inneren Stadtmauer |
1861 | Bezirke 2 bis 9 (Teilung des 4. Bezirks in Wieden und Margareten) Der östliche Bezirksteil bis zur Laxenburgerstraße gehört zum 4. Bezirk, der westliche Teil zum 5. Bezirk |
1863 | Heinrichhof |
1865 | Ringstraße |
1869 | Staatsoper |
1870 | Donauregulierung |
1870 | Staatsbahnhof (später Ostbahnhof) |
1872 | Donauländebahn |
1873 | Vergnügungsstätte Altes Landgut |
1874 | Zweiter Südbahnhof |
1874 | Favoriten wird 10. Bezirk „10. Hieb“, weil vom 4. und 5. Bezirk geradlinig abgetrennt. Johann Heinrich Steudel wird erster Bezirksvorsteher. Der Bezirk ist nach Süden etwa bis zur Gudrunstraße (damals „Simmeringer Straße“) bebaut. |
1875 | Rotenhofgasse benannt nach dem früheren Jagdschloss Rotenhof von Karl VI. am selben Ort |
1880 | Der Böhmische Prater entsteht aus der Kantine des Ziegelwerks am Laaerberg |
1890 | Erweiterung des Bezirks bis zur Donauländebahn |
1938 | Unterlaa, Oberlaa, Rothneusiedl kommen zu Favoriten. Das Gebiet um das Arsenal wird von Favoriten abgetrennt. |
Links
- Favoriten (Wikipedia)
- Favoriten (Geschichte Wiki WIen)
- Böhmischer Prater (Wikipedia)
- Wien Südbahnhof (Wikipedia)
- Arsenal (Wikipedia)
- Semmeringbahn (Wikipedia)
- Wiener Donauregulierung (Wikipedia)
- Neue Favorita (Wikipedia)
- Waldmüllerpark (Wikipedia)
- Favoritner Colosseum (Wien Geschichte Wiki)
- Löwinger Bühner (Wikipedia)
- Donauländebahn (Wien Geschichte Wiki)
- Rotenhofgasse (Wien Geschichte Wiki)
- Philadelphia (Wien Geschichte Wiki)
- Alois Miesbach (Wikipedia)
- Alois Miesbach (Wien Geschichte Wiki)